Rabentod | By : dime Category: German > Harry Potter Views: 5918 -:- Recommendations : 0 -:- Currently Reading : 0 |
Disclaimer: I do not own the Harry Potter book and movie series, nor any of the characters from it. I do not make any money from the writing of this story. |
Harry hatte zunächst Bedenken gehabt, sich von einer Frau beraten zu lassen, die selbst pinke Haare trug. Doch Tonks hatte sich als brilliante Einkaufsbegleitung erwiesen. Nicht nur hatte sie mehr Erfahrung im Kleiderkaufen als Harry - was freilich nicht viel bedeutete, denn war hatte das nicht? Harry hatte sich noch nie selbst Kleider kaufen dürfen - nein, Tonks hatte auch einen sehr guten Geschmack, wenn es um Harry ging. Während er noch über die große Auswahl in dem magischen Outlet Store staunte, hatte sie bereits drei Hosen und fünf Hemden sowie zwei Paar Schuhe für ihn ausgesucht, die ihm nicht nur allesamt passten, sondern auch seine Figur und die Farbe seiner Haare und Augen vorteilhaft betonten.
Mit einem Koffer voll neuer Klamotten zusätzlich zu seinen sonstigen Schulsachen saß Harry endlich im Hogwarts-Express. Er verriegelte die Abteiltüre. Hermine und Ron würden sicher bald kommen, um ihn über seinen Sommer auszufragen und mit ihm über das Ende des letzten Schuljahres auszufragen. Kaum jemand wusste über die tatsächlichen Ereignisse bescheid, wie das um Harry so oft der Fall war.
Doch er konnte seinen Freunden noch nicht erzählen, was passiert war. Nicht, bevor er sich nicht entschieden hatte, ob er ihnen von... 'Rabe' erzählen sollte. Also hatte er sich ein kleines Abteil für sich alleine gesucht und sicherte es nun mit einigen Schildzaubern. Niemand würde ihn beim Grübeln stören. Er kauerte sich neben dem Fenster auf die Sitzpolster, stöpselte seinen Magie-resistenten Discman (Geburtstagsgeschenk von den Weasleys) ein und schloss die Augen. Wie so oft diesen Sommer flogen seine Gedanken zu der Nacht, in der Voldemort besiegt worden war. Doch es war nicht Voldemort, an den er dachte. Es war der Mensch, mit dem er sich nach seinem Sieg getroffen hatte. Um Mitternacht. Auf dem Turm. Alleine.
- flashback -
"Wie soll ich Sie nennen? "
"Nenn mich Rabe."
"Aber sagten Sie nicht, das sei der Name, den Voldemort... ? "
"Ja, Harry, ich habe den Namen von Voldemort bekommen und ihn hassen gelernt. 'Retter ohne Adel, ohne Ehre und ohne Bedeutung.' Wie sehr es den Bastard doch erfreut hat, als er gemerkt hat, dass sich aus den Initialen, die er mir damit verliehen hat, sogar ein abfälliges Acronym bilden ließ... Doch wie sehr ich auch wünschte, ich wäre noch der, der ich einst war- ich bin es nicht mehr. Jahrzehntelang hat mich Voldemort weiter zerstört, bis kaum noch etwas von mir übrig war. Doch er ließ mich auch nicht sterben. Kannst du dir vorstellen, wie schmerzhaft es ist, zu erkennen, dass dir selbst diese Freiheit genommen wurde? Ich war bestens bekannt mit den Halbwesen der Zwischenwelten, die weder im Leben noch im Tod existieren. Ich war ja dank Voldemorts liebevoller Behandlung Stammgast im Grenzbereich zwischen hier und dort."
Harry glaubte eine Spur Selbstironie in Rabes Wortwahl zu entdecken; doch weder die Stimme noch die verdeckten Gesichtszüge ließen erkennen, was wirklich in dem Mann vorging.
"Eines Tages kam ich mit diesen Wesen ins Gespräch und erkannte, dass sie meine Situation verändern konnten. Mit ihrer Hilfe wurde das Wunder wahr, auf welches zu hoffen ich schon so lange nicht mehr gewagt hatte. Ich erlangte meine Kräfte langsam zurück und besiegte sogar schließlich meinen Peiniger. Doch ich hatte mich dafür mit mächtigen Wesen des Lichts und der Finsternis eingelassen. Alte Götter, Dämonen, Wesen, für die selbst die Zaubererwelt keinen Namen hat... Was Voldemort übriggelassen hat, haben sie genommen. Ich trage diese Lumpen, Harry, weil sie alles sind, das meinen Körper noch zusammenhält- sie und die mächtige schwarze Magie, die die Stelle meiner Seele eingenommen hat und mein ganzes Wesen durchzieht.
"Von dem Mann, der ich einst war, ist nicht viel übrig. Auch auf die Gefahr hin, dass du mich für einen Melodramatiker hältst: meine Kleidung gleicht einem zerfledderten Federkleid, in mir herrscht Dunkelheit schwärzer als die hoffnungsloseste Winternacht, meine Stimme ist zu einem heiseren Krächzen reduziert worden und für alle, die mir je nahe standen, war die Bekanntschaft mit mir ein Todesurteil.
"Rabe ist mein Name, und er passt zu mir. Mehr als ein Rabe bin ich nicht mehr. Und es gibt übrigens keinen Grund, mich zu siezen. Soviel Respekt habe ich nicht verdient und ich bitte dich, das zu unterlassen."
"Aber... du... hast doch mit RAB unterschrieben- warum?" Und wer war dieser Mann wirklich?
"Tatsächlich hatte ich, ohne viel darüber nachzudenken, mit 'Rabe' unterschrieben. Meinen alten Namen gibt es schon lange nicht mehr. Doch das E verschwand. Ich war zunächst erstaunt, doch inzwischen habe ich eine Erklärung dafür gefunden: Ich bin zwar auch hier ohne Adel und, da ich eigentlich gar nicht hierher gehöre und auch nicht lange bleiben werde, ohne Bedeutung. Doch was ich tue ist ehrbar. Daher blieb das E nicht bestehen, die Magie in der Höhle ließ es nicht zu. Dennoch, ich sehe mich immer noch als 'Rabe', das ist alles, was ich noch bin."
Der Mann schüttelte schwerfällig den Kopf und Harry hatte den flüchtigen Eindruck eines blicklosen weißen Auges inmitten von gerötetem und scheinbar verbranntem Gewebe. Er schauderte. Was hatte dieser Mann alles erleiden müssen?
'Rabe' schien seine Gedanken zu erraten.
"Stell dir vor, Voldemort gewinnt. Was würde er mit dir tun? "
"Er würde mich töten."
"Was macht dich da so sicher?"
"Nun, zum einen die Prophezeiung..."
"Harry, in der Prophezeiung heißt es doch 'Keiner soll leben während der andere überlebt'? Aber... kann man ein Leben an der Grenze zu Tod und Wahnsinn denn noch als solches Bezeichnen? Was, wenn einer von euch sich aufgegeben hätte und versucht hätte, sich dem Tode auszuliefern- und der andere hätte ihn daran gehindert? Kann man sagen, dass der fast-Tote noch lebte?"
Harry dachte einen Moment über die theoretische Möglichkeit nach. Dann weiteten sich seine Augen in plötzlicher Erkenntnis. "Oh..." machte er. "Sie meinen also, er hätte mich gar nicht unbedingt getötet?"
"Nun, was glaubst du?"
Harry dachte nach. Voldemort war ein Sadist. Wenn er eine Lieblingsbeschäftigung hatte, so war es vermutlich das Zusehen, wie andere leiden.
Voldemort hätte ihn nicht umgebracht, oh nein. Er hätte ihn leiden lassen. Lange.
Harry fröstelte.
Der alte Mann hatte ihn derweil nicht aus den Augen gelassen. Als er sah, dass Harry zu einem Schluss gekommen war, fuhr er fort.
"Jetzt kannst du dir in etwa vorstellen, wie es mir das letzte halbe Jahrhundert ergangen ist."
Harry war verwirrt. Das letzte halbe Jahrhundert? Aber Voldemort war doch vierzehn Jahre lang mehr tot als lebendig gewesen?
Rabe schien Harrys verwirrten Blick nicht zu bemerken, oder falls doch, so ignorierte er ihn.
"Voldemort hat es zum Volkssport erklärt, mit immer neuen Foltermethoden aufzuwarten. Wer mich am originellsten und effektivsten quälen konnte, stieg in seiner Gunst. Es gab einen regelrechten Wettstreit unter seinen Todessern, besonders denen des inneren Zirkels, um durch neue Einfälle die eigene Position zu verbessern.
"Macnair war ein Fan von Muggel-Folterinstrumenten. Er benutzte glühende Eisen, spanische Stiefel, Streckbank, Messer, Nadeln... Malfoy dagegen fand heraus, wie man den Cruciatus mit anderen Sprüchen kombinieren konnte, um eine noch hässlichere Wirkung zu erzielen. Rookwood sorgte für die Einführung von Muggel-Krankheiten.
"Ich erinnere mich mit Wohlwollen an die Zeit, als ich Lepra, Aids und die Pest zugleich hatte, denn in diesen zwei Jahren wollte mich niemand direkt anrühren. Das hielt zwar die besonders abartigen unter den Todessern nicht davon ab, ...Dinge... in mich hinein zu stecken, um mich zu demütigen. Aber wenigstens musste ich nicht ihr Stöhnen ertragen, wenn sie, durch mein Leiden und meine Demütigung angeturnt, in meinem Mund oder meinem Arsch kamen."
Harry sog erschrocken die Luft ein. Er hatte von Muggel-Foltermethoden und -Krankheiten nur gehört; den Cruciatus hatte er zwar am eigenen Leib erfahren, doch war es nie für lange gewesen. Insgesamt konnte er nur erahnen, was Rabe durchgemacht hatte. Dasselbe galt natürlich für Vergewaltigung, doch irgendwie war es gerade dieses Detail, das endgültig alle Farbe aus Harrys Gesicht trieb und ihn entsetzt aufkeuchen ließ. Er hatte nie wirklich darüber nachgedacht, was es hieß, wenn Todesser ein Dorf überfielen und 'sich an ihren Opfern vergriffen'.
Rabe hielt einen Moment inne, als erlebe er im Geist noch einmal all die Demütigungen, die er unter den Händen der Todesser erlitten hatte.
"Weißt du, es gehörte zum guten Ton, nach getaner Arbeit aufzuräumen- was soviel bedeutete wie: wer mich kaputt machte, musste mich anschließend wieder flicken. Voldemort war höchst ungehalten, wenn er seine Kräfte einsetzen musste, um mich zum wer weiß wievielten Male vom Tod zurückzureißen und mir diesen Ausweg zu verbieten. Seine Todesser lernten bald, mir nichts anzutun, was sie nicht spurlos wieder beseitigen konnten. So wurde aus ihnen bald eine Ansammlung extrem fähiger Heiler.
"Ich mus sagen, es ist eine riesige Verschwendung, dass all das Wissen mit meinem Ende verloren geht: St. Mungos würde vor Freude eine Party schmeißen, wenn sie von den Sprüchen und Tränken erführen, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben: Ich hatte Krebs, Leukämie, Aids, verlorene Gliedmaßen, Vergiftungen, jegliche Art innerer und äußerer Blutungen...
"Leider geht meine Zeit hier zuende. Ich habe die Wesen der Zwischenwelt überreden können, dass sie mir helfen, nicht nur Voldemort zu besiegen und der Welt eine Ankündigung zu machen-"
"Was für eine Ankündigung?"
"Ich bin ihnen am Himmel erschienen und habe ihnen mitgeteilt, dass ich endlich meine Aufgabe erfüllt hatte. Alle wussten, dass ich versagt hatte, denn Voldemort hatte keine Gelegenheit ausgelassen, mich nackt und angekettet, hilflos und verachtungswürdig, bei Versammlungen und offiziellen Anlässen vorzuführen."
Rabe sprach noch immer in einem vollkommen neutralen Ton, so, als ginge es gar nicht um ihn. Harry fragte sich, ob der alte Mann überhaupt noch zu Gefühlen in der Lage war.
"Irgendwann lernte ich, mich nicht mehr aufzuregen, wenn mir ein Finger oder ein Ohr abgerissen, verbrannt oder sonst wie zerstört wurde, denn meine Folterknechte wussten immer, wie sie den Schaden rückgängig machen konnten. Ich verspürte jede wache Minute rasende Schmerzen. Man gewöhnt sich nie an so etwas. Nur meine Zunge war tabu, da Voldemort meine Schreie genoss. Alles andere jedoch...
"Doch wo mir anfangs noch übel geworden war, wenn ich nur daran dachte, meine Gliedmaßen zu verlieren, da biss ich irgendwann nur noch die Zähne zusammen (wenn sie mir nicht kurz zuvor auf irgendeine Weise abhanden gekommen waren) und wartete darauf, dass es ein Ende hatte und der Arm, das Bein, was auch immer, wieder da war.
"Voldemort muss das bemerkt haben.
"Eines Tages wartete ich vergeblich. Ich dachte, es sei wohl eine neue Art der Folterung, mich ein paar Tage ohne meinen rechten Arm leben zu lassen; vermutlich hatten die Todesser endlich herausgefunden, wie man Gliedmaßen auch mehr als eine Stunde nach deren Verlust wieder anfügte.
"Doch ich hatte mich getäuscht.
"Mein Arm blieb für mich verloren. Oh, freilich habe ich ihn noch einige Male gesehen- wie könnte man so ein wunderbares Folterwerkzeug einfach verschwenden?-, doch er wurde mir nie zurückgegeben. Offensichtlich war es nach nunmehr zehn Jahren der Gefangenschaft nicht mehr wichtig, dass ich über alle Gliedmaßen verfügte. Ich war wieder panisch wie zu Anfang, wenn es an meine Beine, meinen Penis oder meine Nase ging. Voldemort strahlte förmlich vor Genugtuung.
"Doch nachdem ich zu meinem rechten Arm auch noch mein linkes Bein verloren hatte (es wurde dann ab dem Knie durch eine magische Prothese ersetzt)- nun, da verfiel ich erneut in Gleichgültigkeit. Schmerzen waren Schmerzen, und ich hatte längst alle Hoffnung aufgegeben, jemals frei zu kommen. Also welchen Unterschied machte es schon, ob mein Körper noch intakt war?
"Nach weiteren zwanzig Jahren schien auch Voldemort mein Erscheinungsbild für irrelevant zu halten. Immer öfter unterließ er es, meine Narben von den Verbrennungen, Schnitten und Schlägen, die er mir zufügte, zu heilen. Die Todesser beobachteten ihren Herrn aufmerksam wie eh und je und richteten sich nach seinem Vorbild.
"Die letzten Jahre meiner Gefangenschaft ging es mit mir bergab. Ich nehme an, nach fast fünfzig Jahren war Voldemort sein Lieblingsspielzeug endlich leid geworden. Langsam aber sicher zerfiel mein Körper, bis irgendwann auch die letzte Zelle verbrannt und zerfetzt wäre. Doch noch immer erlaubte Voldemort mir nicht, zu sterben. Vermutlich hätte er mich selbst dann am Leben erhalten, wenn außer meinem Hirn nichts mehr übrig gewesen wäre. Doch das werden wir nie erfahren.
"So kam es jedenfalls dazu, dass ich schließlich rein gar nichts mehr für wertvoll hielt. Selbst meine Seele. Denn, ganz ehrlich, was war eine Seele wert, die solche Schande erfahren -und auch selbst über sich gebracht hatte?"
"Was meinst du damit?"
"Nun, es war nicht genug, dass Voldemort meinen Körper misshandelte, er wollte auch meinen Geist zerstören. Er hat mich gebrochen, so vollständig, wie es nur ging. Es gab Tage, da wurde ich in den Kerker gesteckt und einfach nur dort gelassen, und ich empfand es als Qual. Wenn man lange genug gefoltert wird, dann ist selbst die Abwesenheit der Peiniger Folter, denn man hat sich gewissermaßen an den geregelten Ablauf gewöhnt und empfindet alles andere als schmerzhaft oder zumindest extrem beunruhigend.
"Auch jetzt, wo ich praktisch keinen Körper mehr habe, vermisse ich die Schmerzen, denn sie gaben mir eine Art Ankerpunkt in meiner Welt. Ich bin jetzt vollkommen heimatlos und nun, da ich meine Aufgabe erfüllt habe, werde ich auch diese Welt bald verlassen. Doch ich schweife ab. Welche Schande ich über mich gebracht habe, fragst du?"
'Diese Welt'? Was meint er? Rabes nächste Worte zerschlugen jegliche Verwirrung und hinterließen in Harry nichts als Schock und Horror.
"Ich habe getötet. Ich habe gefoltert, verstümmelt und vergewaltigt.
"Voldemort hat die Jagd nach rebellischen Zauberern immer an oberster Stelle seiner Prioritäten behalten. Jedes Mal, wenn ein Ordensmitglied oder ein Auror gefangen wurde, die ich persönlich kannte-"
Er wusste vom Phönixorden?! WER war dieser Mann?
"-wurden die Leute zu mir gebracht. Ich sollte sie auf die Weise töten, die Voldemort mir vorgab.
"Mein allererstes Opfer war mein bester Freund.
"Voldemort verlangte von mir, dass ich ihm mit einem Messer das Herz herausschnitt.
"Ich weigerte mich.
"Das tat ich einmal und nie wieder. Nicht, weil ich statt dessen derjenige war, dem das Herz bei lebendigem Leibe herausgeschnitten wurde; ich wusste ja, man würde es wieder einsetzen und die Schmerzen waren auch nicht schlimmer als am Vortag, als man mich gezwungen hatte, meinen eigenen Daumen zu essen.
"Nein, es war wegen der Folgen für meinen Freund.
"Sie nahmen ihn mit... Ich dachte, jetzt würden sie ihn töten. Doch einen Monat später sah ich ihn wieder. Zerbrochen, besudelt, dem Tode näher als dem Leben- kurz, er sah aus wie ich. Sie haben ihn vor meinen Augen vergewaltigt. Die ganze Zeit sah er mich an und seine Augen schienen zu fragen, warum ich ihn nicht getötet hatte. Die Frage blieb ungeäußert, denn er konnte bereits nicht mehr sprechen.
"Zwei Monate später wurde ich erneut vor die Wahl gestellt; ich verschwendete keine Sekunde und rammte ihm das Messer mit aller Kraft, die ich noch aufbringen konnte, in die Brust. So starb mein bester Freund."
Harry hatte Tränen in den Augen. Was hatte dieser Mann nur alles erleiden müssen! Wenn er sich vorstellte, er müsse Ron mit einem Messer... Die Tränen flossen noch schneller.
"Du kannst weinen..." Die Stimme des Mannes klang zum ersten Mal nicht teilnahmslos, sondern geradezu ehrfürchtig. "Ich weiß nicht, wie lange es her ist, dass ich vergessen habe, wie man weint.
"Nach meinem Freund kamen bald auch andere Bekannte: ehemalige Schulkameraden, Lehrer, Auroren, Ordensmitglieder... Ich brachte einen nach dem anderen um, jedes Mal ein schlimmerer Tod. Sie sahen mich an, so verletzt und vorwurfsvoll. Sie wussten nicht, was geschehen würde, wenn ich mich weigerte, sie zu töten. Und ich habe es ihnen auch nie gesagt. Wozu? Es reichte dass ich selbst wusste, wie sehr sie leiden würden, wenn ich sie nicht tötete. Vielleicht sogar jahrelang.
"Nach der Erfahrung mit R... -meinem besten Freund, forderte ich mein Glück nie wieder so heraus. Nicht auf ihre Kosten. Selbst als die 'Hinrichtungen' öffentlich stattfanden, so dass alle Welt sehen konnte, wie ihr prophezeiter Retter kaltblütig seine Freunde und Bekannten auf grausamste Art ermordete, machte ich einfach damit weiter. Ich hatte nicht die Kraft, noch einmal einen Freund so leiden zu sehen, nur um der Welt durch meine Weigerung neue Hoffnung zu geben. Wer brauchte Hoffnung, wenn doch alles verloren war?
"Ich muss den Todessern und ihrer Geltungssucht danken, denn ohne sie und ihre Prahlereien darüber, was sie mir alles antaten, hätte vermutlich nie jemand davon erfahren, dass ich mir mein Schicksal nicht ausgesucht hatte. Nur so war es möglich, dass mir die Leute glaubten, als die Wesen des Zwielichts Voldemort vernichteten.
"Als ich den Zauberern Englands und der anderen unterworfenen Länder erschien - Voldemort hat damals ganz Europa und einen Teil Asiens unterworfen, musst du wissen- da wussten sie, dass etwas sich geändert hatte. Denn Voldemort hat keinen Humor. Er würde mich nicht zum Spaß plötzlich in einen Umhang stecken und mich der Welt die Freiheit verkünden lassen...
"Nun, ich blieb nur noch lange genug, um mich zu überzeugen, dass Zauberer auf der ganzen Welt plötzlich Jagd auf die Todesser machten und sich für die Jahrzehnte der Unterdrückung und Willkürherrschaft zu rächen. Schon nach wenigen Stunden waren nur mehr ein Viertel von Voldemorts Anhängerschaft am leben; der Rest befand sich in heller Panik, da Voldemorts Schutzbanne endgültig zusammengebrochen waren und sie der Rache der Menschen ausgesetzt waren.
"Doch ich konnte nicht alles mit ansehen, denn die Schatten drängten mich, die Welt zu verlassen, aufdass sie den zweiten Teil ihrer Hälfte unserer Abmachung erfüllen konnten."
"Sie haben noch mehr getan?" Harry hatte es aufgegeben, herausfinden zu wollen, wer der Andere war. Etwas sagte ihm, dass er das vielleicht gar nicht wissen wollte.
"Ich habe diesen Wesen meine Vergangenheit und Zukunft, mein Wissen, meine Kraft und... meine Seele versprochen. Da kann man schon etwas an Gegenleistung erwarten."
"Du hast WAS getan?!?"
"Ich habe meine Seele verkauft, wie ich schon vorher erwähnte."
"Ja, aber, doch nicht wörtlich?!"
"Oh doch. Weißt du, es ist nicht so, als wäre es ein großer Verlust. Wenn sie mich auseinander genommen haben, wird nichts, absolut gar nichts mehr von mir übrig sein. Danach sehne ich mich so sehr..."
Zum zweiten Mal in dieser Nacht schlich sich ein Hauch von Gefühl in Rabes Stimme. Doch der Moment ging so schnell vorbei, dass Harry sich später fragte, ob er sich die Hoffnung im Ton des Anderen vielleicht nur eingebildet hatte. Schon fuhr Rabe fort.
"Voldemorts Tod war eine meiner Bedingungen. Doch ich hatte noch ein zweites Anliegen. Bei meinen zahllosen Aufenthalten in der Welt zwischen Leben und Tod erfuhr ich, dass es mehr als eine Welt, mehr als ein Leben gab. Nimm zum Beispiel Hermine."
"Woher kennst du Hermine?!"
"Das spielt jetzt keine Rolle. Wichtig ist nur, dass Hermine im dritten Schuljahr einen Zeitumkehrer bekommen hat. Du erinnerst dich sicher, immerhin hast du so deinen Paten retten können."
Der Mann wurde Harry mit jeder Minute unheimlicher. Wie gebannt lauschte er seinen Worten und versuchte, all das aufzunehmen, was der Andere ihm da enthüllte. Parallele Welten? Merlin!
"Jedes Mal, wenn ein Zeitumkehrer verwendet wird, entsteht eine neue Welt. In der Welt, in der du geboren wurdest, bist du vielleicht schon gestorben; oder Voldemort ist nie zurückgekehrt. Denn vielleicht hat irgend jemand einen Zeitumkehrer verwendet und ungeschehen gemacht, was sich in dieser Nacht vor fast siebzehn Jahren in Godric's Hollow ereignete. Dennoch ist diese Realität noch so, wie sie immer war: Nur für diese eine Person, die die Vergangenheit verändert hat, ist die Gegenwart heute anders. Diese eine Person lebt jetzt in der anderen Welt weiter, die sie durch ihre Veränderung der Vergangenheit geschaffen hat."
Er machte eine Pause und gab Harry Gelegenheit, sich mit dem neuen Gedanken anzufreunden.
"Du meinst, diese Welt ist Hunderte von Realitäten von meiner ...ersten Welt entfernt?"
"Nun, nicht ganz. Sieht du, jede Stunde, die Hermine wiederholt hat, veränderte ihre Möglichkeiten, ihr Wissen, ihren Weg in die Zukunft. Doch sollte sich später herausstellen, dass das in ihrer Entwicklung und der ihres Umfeldes absolut keinen Unterschied macht, dann kann es in seltenen Fällen passieren, dass zwei voneinander getrennte Welten wieder zu einer zusammenwachsen. Aber im Prinzip hast du Recht: Jedes Mal, wenn Hermine das Stundenglas gedreht hat, ist eine neue Realität entstanden. Dich gibt es in beiden."
Harry hatte plötzlich eine Vision von einer Schneekugel, in der Hogwarts stand; auf dem Rasen vor dem Schloss lag eine Schneekugel, in der sich Hogwarts befand; und vor dem Schloss lag... Doch nein, er sagte ja, die ganze Welt wäre dadurch verändert. Eine zweite Realität für jede Zeitreise. Wieder formte sich in Harrys Kopf ein Bild. Diesmal war es seine direkte Umgebung; die Ränder aller Dinge wurden unscharf, so als überlagerten sich dort die Wirklichkeiten. Vier Ränder, fünf, sechs, manche lagen aufeinander, andere waren meterweit voneinander entfernt...
Doch auch dieses Bild reichte nicht aus, um das zu beschreiben, was Rabe ihm soeben erklärt hatte. Harrys Kopf schwirrte; ihm wurde ein wenig übel. Der Gedanke war zu überwältigend.
Rabe entschied sich dafür, seinem Leiden ein Ende zu bereiten.
"Am besten machst du dir nicht zu viele Gedanken darüber. Es betrifft dich ohnehin nicht, was in anderen Welten passiert. Niemand kann die Grenzen zwischen den Welten überschreiten."
Harry wurde gerade etwas klar. "Außer dir, oder?"
Rabe wirkte noch ein wenig ernster als zuvor. "Auch ich kann die Grenzen nicht aus eigener Kraft überschreiten. Siehst du, als mir klar wurde, dass ich Voldemort endlich besiegen konnte, da waren bereits alle tot, die ich beschützen wollte und meine Welt war zerstört, verwüstet durch Krieg und Unterdrückung. Ich weiß, dass die Menschen ihre Welt wieder aufbauen können.
"Doch als ich von den Parallelwelten erfahren hatte, da war in mir der brennende Wunsch erwacht, dafür zu sorgen, dass es wenigstens EINE Realität gab, in der Voldemort in dem Moment besiegt wurde, in dem ich gegen ihn verloren habe. Darum bin ich in dieser Welt. Mit der Hilfe der Wesen, an die ich meine Seele verkauft habe, habe ich die Horcruxe gesammelt und einen nach dem anderen zerstört.
"Ich habe die Todesser beobachtet. Ich war da, als es zur Begegnung auf dem Astronomieturm kam. Das war die Stunde, in der ich besiegt worden war. Dumbledore war gestorben und die Banne um Hogwarts wurden täglich schwächer. Nur eine Woche später war es schon vorbei. Ich war gefangen, das Ministerim war zerstört und Hogwarts war fest in Todesserhand. Mit Dumbledores Tod hatte unsere Niederlage begonnen; Dumbledores Tod war es, den ich verhindern musste.
"Ich war es, der dafür sorgte, dass Voldemort heute alle Vorsicht über Bord warf und persönlich hierher kam, als sein Plan nicht aufging. Nur durch mein Eingreifen verhinderte ich, dass auch diese Welt dasselbe Schicksal ereilt wie meine.
"Und nun liegt es bei dir, Harry."
Rabes Umhang schien auf einmal vor dunklem Licht zu pulsieren. Schatten flackerten um ihn her. Die Dunkelheit schien zugleich aus ihm zu kommen und ihn von außen einzuhüllen.
"Es liegt jetzt bei dir, Harry, das Leben zu genießen und all das zu tun, was ich nie tun durfte. Sei ein Kind. Sei eine Mann. Sei dein eigener Herr. Sei frei. Lebe, Harry Potter."
Harry schluckte trocken.
"Wer bist du?"
Rabe schien ihn zu mustern. Lange Zeit schwieg er, bevor er fragte: "Willst du das wirklich wissen? Ich weiß, dass du es schon erraten hast. Doch noch ist Zeit, dir einzureden, dass es nicht wahr ist. Willst du es wirklich von mir hören?"
Harry musste erneut schlucken; sein Hals schien zu trocken zum Sprechen. Doch er schob alle Zweifel beiseite und sagte entschlossen "Ja!"
"Ich war du, Harry. Vor langer Zeit, da war ich Harry Potter."
Harry beugte sich vor und zog dem Mann das Tuch vom Gesicht. Rabe wehrte sich nicht. Harry schob sanft die Kapuze zurück. Der Umhang öffnete sich und rutschte dem Mann von den Schultern. Er saß stumm da und ließ es zu, dass Harry ihn betrachtete.
Blicklose weiße Augen sahen Harry aus einem zerfurchten, von zahllosen Narben und eiternden Wunden übersäten Gesicht entgegen. Anstelle der Nase gab es nur eine Art Loch, in dem dunkler Nebel wirbelte. Ohren oder Haare hatte der Mann nicht. Der rechte Arm fehlte, an seiner Stelle war derselbe dunkle Nebel, der auch die Nase 'ersetzte'.
Rabe hatte nicht gelogen, als er sagte, nur die dunklen Kräfte der alten Götter und Dämonen hielten seinen Körper noch zusammen: Große Teile schienen zu fehlen, dunkler Nebel war alles, das die Wunden schloss und dem Körper Form gab. Doch auf der Stirn, inmitten von Brandwunden und anderen Zeugen seiner jahrzehntelangen Gefangenschaft, stach eine feine weiße Linie hervor: eine zarte, blitzförmige Narbe.
"Du bist... ich?"
"Ja, Harry. Wenn Voldemort gewonnen hätte, wärest du in fünfzig Jahren so wie ich."
Harry drehte sich um und erbrach sich geräuschvoll.
Etwas später hatte Harry sich wieder beruhigt.
"Es ist mir klar, dass du damit heute noch nicht umgehen kannst. Ich werde dir ein paar Wochen geben, um dich an den Gedanken zu gewöhnen." Rabe murmelte einen leisen Zauberspruch und Harry fühlte, wie seine Verwirrung und sein Entsetzen abnahmen.
"Was hast du getan?"
"Ich habe dafür gesorgt, dass du unter der Last deines neuen Wissens nicht zusammenbrichst. Dieser Zauber wird dich schützen. Alles, was ich dir heute gesagt habe oder noch sagen werde, ist in deinem Kopf und wenn du unbedingt willst, kannst du das Wissen bewusst hervorrufen. Tust du das nicht, so bleibt es deinem aktiven Bewusstsein zu großen Teilen verborgen. Doch du wirst dich jeden Tag ein wenig mehr daran erinnern. So kannst du dich langsam an all das Böse gewöhnen, das ich heute vor dir ausgebreitet habe."
"Danke", sagte Harry unsicher. Rabe nickte. Dann griff er hinter sich und zog sich die Kapuze wieder über den Kopf. Harry kommentierte es nicht- er war froh, dass er nicht mehr in dieses Gesicht schauen musste. Ein Gesicht, das seinem so ähnlich war und doch so schrecklich anders. Ja, er hatte seine Züge in diesem zerstörten Etwas erkannt, das einmal ein menschlicher Kopf gewesen war.
Es war nicht nur die Narbe, es war auch die Form der Wangen (sofern man diese noch erahnen konnte), der Augen (auch wenn sie nur leblose Kugeln waren) ... Letztendlich war es vor allem ein Gefühl. Ein Gefühl, das ihm stärker als seine eigenen Augen sagte, dass der Mann vor ihm tatsächlich er selbst war- Harry Potter, wie er mit fast siebzig Jahren aussähe, wenn Voldemort heute nicht gefallen wäre.
Auf einmal verstand er, weshalb der Dunkle Lord eines so grausamen Todes sterben musste. Er war Rabe deswegen nicht mehr böse. Vielmehr wünschte er, Voldemort hätte noch mehr leiden müssen.
Rabe schien seine Gedanken zu erraten.
"Harry. Ich habe meine Rache bekommen. Ich war gnädig zu deinem Voldemort, da meiner bereits ... aber es ist unnötig, davon zu sprechen." Ein harter Ton untermalte seine Stimme. Harry schüttelte sich und versuchte, nicht darüber nachzudenken, was die Schattenwesen dem anderen Voldemort angetan hatten, wenn das Ende SEINES Voldemorts die 'gnädigere' Variante gewesen war.
"Voldemort ist tot und vergangen. Die Aufgabe der Zaubererwelt ist es, nicht zuzulassen, dass ein kranker Diktator wie er erneut an die Macht kommen kann. Ihre Aufgabe ist es auch, alle Todesser einzufangen und angemessen zu bestrafen- nach Voldemorts Ende sind sie allesamt geschwächt und leicht zu zerstören. DEINE Aufgabe aber ist es, nicht in Rachegedanken zu brüten, sondern das Leben zu genießen.
"Weißt du, ich habe diese Welt aus sehr eigennützigen Gründen verändert. Ich wollte, dass es ein.. ein Ich gibt, das glücklich wird."
Harry weinte jetzt wieder. Tränen perlten aus seinen Augen, liefen in dicken Strömen über seine Wangen und tropften auf seine Robe.
"Sei nicht länger traurig. Beschäftige dich nicht mit Rache oder Hass. Vergib den Leuten, die es verdienen, und vergiss die anderen. Es ist nicht an dir, zum seelenlosen Rachegeist zu mutieren. Ich habe genug für uns beide gelitten; jetzt sollst du für uns beide glücklich sein."
Harry schluchzte laut auf. Erst etwas später schaffte er es, verwirrt eine Frage zu stellen: "Warum erst jetzt? Warum nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt in mein Leben eingreifen? Dann wäre ich noch länger glücklich gewesen-" Erschrocken brach er ab, als er bemerkte, dass seine Frage wie ein Vorwurf klang. Er hatte wirklich nur aus Neugier gefragt. Rabe schien den Vorwurf gar nicht zu registrieren. Vielleicht war er es schon gewöhnt, sich für alles die Schuld zu geben. So hatte es zumindest vorher geklungen, als er erzählt hatte, wie er seinen besten Freund- Ron!, wurde Harry mit Schrecken klar- ermorden musste.
"Ich hätte schon früher eingegriffen, wenn es mir möglich gewesen wäre. Doch es scheint, dass meine zerfetzte Seele dafür nicht wertvoll genug war. Ich konnte die Geschichte nicht ab Voldemorts Angriff auf deine Eltern verändern. Doch immerhin konnte ich die Dämonen überreden, mich an den spätest möglichen Zeitpunkt zu versetzen, ab dem du noch eine Chance hast, glücklich zu werden. Ich war nicht dumm genug, mit ihnen weiter zu verhandeln. Der nächste Einsatz wäre vermutlich nicht nur meine Seele gewesen, sondern deine noch dazu."
Sowohl Harry als auch Rabe schauderten.
Vielleicht täuschte Harry sich, doch ihm kam es so vor, als zeige der Andere immer öfter Gefühle. Das dunkle Licht, das er schon zuvor bemerkt hatte, pulsierte stärker und schien den Kapuzenmantel bereits vollkommen auszufüllen. Wenn Harry die Kapuze noch einmal anheben würde, wäre darunter noch das zerstörte Gesicht oder fände er nur noch wirbelnde Dunkelheit vor?
Rabe verschwand. Langsam aber sicher verging er und bald würde er auch diese Welt für immer hinter sich lassen.
Plötzlich erinnerte sich Harry an etwas, das sein älteres Ich vor einer Weile gesagt hatte.
"Rabe, kannst du mir die Heilsprüche beibringen, die du ...gelernt hast?"
Rabe zögerte. "Harry... die Sprüche sind nur in Verbindung mit den richtigen Bewegungen wirksam. Auch sind es verschiedene Heilmethoden für verschiedene Grade einer Krankheit oder Verletzung. Wenn ich dir meine Erinnerungen an die Sprüche und Tränke übertragen wollte, müsste ich dir auch die Erinnerungen an die Verletzungen und wie sie verursacht wurden übertragen. Für ein Pensieve sind es zu viele. Es gibt einen Spruch... Ich könnte dir all die Erinnerungen einpflanzen. Aber das würde bedeuten, dass du dich an sämtliches Leid, das mir widerfahren ist, erinnern würdest- fast, als wäre es dein eigenes."
Harry sah ihn bestürzt an.
"Dir ist schon von meiner Erzählung schlecht geworden. Mein oberstes Ziel ist es, dass du glücklich wirst. Und das dürfte schwer werden, wenn du dich mit der Bewältigung meiner Vergangenheit herumschlagen musst. Also- meine Antwort lautet nein."
Harry starrte den Mann verärgert an. Hätte er sich nur keine solche Blöße gegeben! Er konnte doch nicht einfach den Naiven spielen und glücklich werden, während auf der ganzen Welt Menschen an Leiden starben, für die er die Heilung hätte erfahren können! Wie konnte Rabe verlangen, dass er so egoistisch war?!
Andererseits verstand Harry natürlich auch Rabes Standpunkt. Der Mann hatte seine SEELE verkauft, damit Harry glücklich wurde. Wie könnte er ihm diesen Wunsch abschlagen? Immerhin hatte Rabe ihm geholfen, Voldemort zu vernichten. Ohne ihn wäre Harry bald... Lieber nicht daran denken.
Doch nein, das war genau die falsche Einstellung. Deshalb hatte Rabe ja auch abgelehnt. War Harry wirklich zu schwach, um mit Rabes Realität umzugehen?
Immerhin hatte er es sein Leben lang schwer gehabt. Eine Prüfung war der anderen gefolgt und doch hatte er nie aufgegeben. Was auch immer in Rabes Kopf enthalten sein mochte, mit der Unterstützung von Rabes Spruch würde er bestimmt damit fertig werden. Vielleicht konnte er es ja so anstellen, dass Rabe es nicht mitbekam. Dann war der Andere auch nicht enttäuscht.
"Legilimens", wisperte Harry.
Rabes Kapuze rutschte zurück als er mit einem Schrei auffuhr und auf Harry zu stürzte.
"HARRY! Was hast du getan!" Er schüttelte ihn an den Schultern und brach dann schluchzend zusammen.
Harry antwortete nicht.
Er war gefangen in dem Strudel der Erinnerungen, die er in Rabes Kopf angetroffen hatte. Rabe war völlig unvorbereitet gewesen. Harry war direkt in den Bereich vorgedrungen, wo bei anderen Menschen ihre geheimsten Wünsche, Ängste und Hoffnungen lagen. Nicht so in Rabes Kopf.
Die Mauern, welche es bei Snape immer zu überwinden galt, lagen in Rabes Kopf in Trümmern. Selbst wenn er gewollt hätte, der Mann könnte seinen Geist nicht mehr verteidigen: dafür hatte Voldemort gesorgt. Harry verstand zum ersten Mal, was es bedeutete, den Geist eines Menschen zu unterwerfen. Körperliche Vergewaltigung war bei Weitem nicht das Schlimmste, was ihm, diesem älteren Harry, wiederfahren war. Man hatte sein innerstes, geheimstes Wesen vergewaltigt, es so gründlich aufgerissen, dass es nun blutend und schutzlos gegenüber der Welt offen lag.
Doch Harry hatte keine Zeit, sich lange mit diesem Gedanken aufzuhalten.
Bilder von Folterungen, von Demütigungen und unmenschlichen Qualen, ein Gefühl von Hilflosigkeit und Schmerzen, wie er sie nicht einmal in seinen schlimmsten Visionen und Alpträumen erfahren hatte, füllten sein ganzes Denken aus und trieben ihn an den Rand des Wahnsinns. Da gewann endlich Rabes Schutzzauber die Oberhand über die eindringenden Erinnerungen und schickte Harry in die rettende Ohnmacht.
"Harry? Harry!"
Die Stimme klang ängstlich und sehr gehetzt.
Mühsam schlug Harry die Augen auf und versuchte aufzustehen. Alles drehte sich und er fiel mit einem dumpfen Schlag zurück auf den harten Steinboden.
Steinboden?
Allmählich setzte die Erinnerung ein. Die Stimme, welche ihn beim Kampf gegen Voldemort gelenkt hatte. Der Zauberspruch, den sie ihm eingeflüstert hatte. Voldemorts schreckliches Ende. Das geheime Treffen um Mitternacht auf dem Westturm. Rabe, wie er mit völlig teilnahmsloser Stimme von der Hölle erzählt hatte, die über fünfzig Jahre lang sein 'Leben' gewesen war.
Rabe - Harry Potter.
Dann der Streit über die Heilzauber und schließlich...
"Oh Gott. Es tut mir leid!!! Bitte, du musst mir glauben! Ich wusste ja nicht, dass... okay, ich hätte mir echt denken können, dass er deine Schutzwälle zerstört hat- aber, ich wollte wirklich nicht all deine Gedanken, deine Angst und.. oh Gott... ich wollte doch nur nach den Heilzaubern suchen und dann wieder verschwinden. Ich...ich... es tut mir leid."
Das Letzte war nicht mehr als ein Flüstern.
Stille.
Ganz langsam blickte Harry auf. Rabe kniete vor ihm, Kapuze zurückgefallen, Tuch verrutscht und einen merkwürdigen Ausdruck in seinem vernarbten Gesicht.
"Harry... fühlst du dich jetzt schuldig?"
"Wie kannst du das fragen?! Natürlich!"
"Meinst du, du wirst das Wissen anwenden oder weitergeben können, das du mir abgenommen hast?"
"Ähm... ja, schon. Dein Zauber hält es momentan noch von mir fern, aber ich bin sicher, dass sich das in einem Jahr oder zwei erledigt hat... Wieso?"
"Würdest du es rückgängig machen, wenn du könntest?"
Harry saß da und fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Was meinte Rabe damit? Konnte er ihm das Wissen wieder abnehmen? Würde er es tun? Würde er selbst das wollen? Was, wenn er das Wissen verlöre, Rabe sich aber an seinen Verrat erinnerte? Nein, vollkommen unmöglich! Das konnte er nicht riskieren.
"Ich würde gerne meinen Angriff auf deinen Geist zurücknehmen; aber das Wissen möchte ich nicht wieder hergeben", nuschelte er verlegen.
Rabe sah ihn erstaunt an. Zumindest fühlte es sich so an, als sei er erstaunt. Seine Züge gaben so wenig preis wie eh und je, doch Harry hatte zunehmend das Gefühl, dass der andere immer mehr Emotionen zeigte.
"Dann tut es dir also nicht leid, dass du jetzt mein Leben in deinem Kopf hast?"
"Nein... es ist ja auch mein Leben. Es ist das Leben, das ich gehabt hätte, wenn du mich nicht davor bewahrt hättest. Dafür bin ich dir unendlich dankbar. Egal, was du sagst: Du bist ein wahrer Retter. Du hast eine Bedeutung. Du hast Ehre. Und... wer braucht schon Adel?!
"Weißt du was? Ich werde dich nicht mehr Rabe nennen. Jetzt, wo ich weiß, wer du tatsächlich bist - wo ich gesehen habe, wie dein ganzes schreckliches Leben verlaufen ist -, da kann ich dich nicht mehr guten Gewissens Rabe nennen. Du bist von uns beiden der Held. Du bist für mich ein Vorbild -"
"Wieso denn das?!"
"Du hast die Menschen deiner Welt nie aufgegeben. Die Schatten hätten dich erlösen können, doch du hast es auf dich genommen, Voldemort zu vernichten und die Menschen deiner und meiner Welt auf den richtigen Weg zu schicken. Du hast um jeden Freund, den du verloren hast, getrauert, selbst als du nicht mehr weinen konntest.
"Du hast Hermine, Mal- ich meine Draco, Neville und so viele Andere auf grausame Art getötet, um ihnen einen noch schlimmeren Tod zu ersparen - obwohl du das Gefühl hattest, jedes Mal einen Teil von dir selbst zu ermorden. Du hast sogar hin und wieder die Aufmerksamkeit der Todesser von einem ihrer anderen Opfer abgelenkt, um durch deine Leiden die der anderen zu verringern. Du kannst mir erzählen, was du willst - du bist ein Held. Du bist stark. Du bist, wie ich sein will. Du bist kein schwarzer Rabe. Du bist immer noch Harry Potter."
Rabe schien bei Harrys Worten in sich zusammen zu sinken. Als Harry endete, saß der alte Mann vor ihm, die Roben in Falten um seinen gekrümmten Körper, und schluchzte laut und herzzerreißend.
"Danke... danke...!"
"Wofür?", fragte Harry verwirrt.
Rabe richtete sich langsam wieder auf. Seine weißen Augen schienen Harry zu fixieren, als er zu sprechen begann.
"Harry. Fünfzig Jahre lang habe ich alleine gelitten. Immer habe ich mir Vorwürfe gemacht, weil ich nicht stärker war. Weil ich versagt habe. Ich gab mir die Schuld an jedem Tod, an jedem Schmerz, jedem Verlust, den Voldemort verursachte. Denn ich war es, der ihn hätte besiegen müssen. Ich habe mir irgendwann verboten, Gefühle zu haben, denn ich war es nicht wert...
"Du bist der Erste, der mir sagt, dass ich richtig gehandelt habe. Ich fühle mich, als hättest du mir stellvertretend für all die Menschen, die ich enttäuscht habe, vergeben. Ich... vielleicht ist das alles Unfug, aber ... Danke, dass du mich akzeptierst! Danke für deine Worte. Sie haben mich befreit. Ich dachte, ich hätte keine Gefühle mehr, aber - da sind sie! Ich spüre nicht mehr nur Schmerz. Da ist Hoffnung, Trauer, sogar... was ist das für ein Gefühl? Ich habe das so lange nicht... was...?"
Harry sah sein Gegenüber verdutzt an. Was war denn jetzt los?
"Ich glaube, du hast nicht nur genommen, Harry. Als du in meinem Kopf warst, da hast du auch etwas von deinen Erinnerungen dagelassen. Ich hatte das alles schon vergessen, es ist so lange her. Doch jetzt kommt es alles wieder. Meine Freunde... meine Hedwig..."
Tränen liefen über die Wangen des älteren Harrys. Es sah grotesk aus, wie die blutigen Tropfen über die zerfurchte Kraterlandschaft glitten, die einst seine Haut gewesen war. Und doch freute sich Harry über den Anblick, denn er bewies, dass selbst dieser Mann, der sein Herz vor vielen Jahren vollständig verloren zu haben glaubte, noch Gefühle hatte. Es gab ihm Hoffnung und Mut, denn es schien ihm ein Beweis dafür zu sein, dass es in der Welt nicht nur Böses gab. Wo Schatten ist, da ist auch Licht...
"Harry," unterbrach der Ältere seine Gedanken, "erinnerst du dich an Rons Gesicht, als er seinen Festtagsumhang bekam? Und daran, wie Moody Draco in ein Frettchen verwandelt hat? Das.. das..."
Und plötzlich lachte er lauthals los.
Es war ein befreiendes, ansteckendes Lachen und Harry wurde davon mitgerissen. Er erinnerte sich nur zu gut an Rons Entsetzen, es hatte wirklich zu komisch ausgesehen. "Und Snape mit dem Geierhut", fügte er hinzu. Der andere lachte noch lauter, dann prustete er: "Die Umbridge beim 'letzten Schultag' der Zwillinge!"
Harry kicherte wie wild und gab ein neues Bild zum Besten: "Lucius Malfoy, als ich Dobby befreit habe!"
Beide lachten.
Es war eine merkwürdige Art des Zwiegesprächs, denn beide hatten das Gefühl, mit sich selbst zu reden. Diesmal ging es um Vorfälle, die sie beide erlebt hatten. Es verband sie stärker als zuvor und als sie sich lange Zeit später wieder beruhigten, waren alle Vorwürfe und Sorgen vergessen.
Harry sprach als Erster wieder. "Ich bin froh, dass du noch lachen kannst."
"Dito. Mit meinen Erinnerungen kann dir das Lachen schnell vergehen."
"Ich schaffe das schon. Ich habe deinen Zauber, der mir hilft."
"Ich glaube dir. Außerdem hast du Freunde. Und Lehrer. Vielleicht auch bald ... aber das musst du selbst herausfinden." Der lippen- und fast zahnlose Mund verzog sich doch tatsächlich zu einem Grinsen.
"Was denn?", fragte Harry verwirrt.
"Na, ich rede von der Liebe, du große Leuchte!"
"Liebe?"
"Ja, das ist, wenn zwei Menschen sich gern haben und... Du hast sicher schon mal davon gehört."
"Depp." Harry zog seinem älteren Ich spielerisch eins über. Nur um danach schuldbewusst zusammenzuzucken. "Entschuldige. Das tat sicher weh, so auf die ungeschützte Haut..."
"Ach was", winkte der Ältere ab. "Alles, was weniger schmerzt als ein Brenneisen, nehmen meine kaputten Nerven nur noch wahr, wenn Voldemort oder einer seiner begabteren Todesser sie manipuliert. Da die Teufel inzwischen in meiner Welt alle tot sein dürften, während die meisten hier wohl nach Azkaban wandern, ist die Chance sehr gering, dass ich jemals wieder neue Schmerzen verspüre- über jene hinaus, die ich seit einigen Jahrzehnten immer habe... Außerdem vergehe ich ohnehin bald." Diesmal war Harry sich sicher, einen sehnsüchtigen Ton aus der Stimme seines älteren Doppelgängers herauszuhören.
"Aber zurück zum Thema. Liebe. Ich habe dir zwar die Möglichkeit gegeben, glücklich zu werden, aber ob du diese Chance nutzt, das liegt ganz bei dir. Ich vermute, es könnte schwer für dich werden."
"Was? Wieso?"
"Ich möchte nicht zuviel verraten, das wäre doch nicht lustig."
"Hey!", empörte sich Harry lachend.
'Rabe' Harry schmunzelte. "Nur soviel. Ich weiß noch, dass ich die meiste Trauer nicht über den Tod derer empfunden habe, die ich bis dahin für die wichtigsten Personen in meinem Leben gehalten hatte, sondern über jemand ganz anderen. Ich nehme an, im Nachhinein ist man immer klüger."
"Was meinst du damit?"
"Ich meine, dass die Liebe und auch andere Gefühle nicht immer dorthin fallen, wo man sie erwartet. Du musst dein Herz offen halten, hörst du? Sonst verschließt du es vielleicht übereilt vor den falschen Leuten..."
"Willst du nicht mehr dazu sagen?"
"Nein. Es ist deine Aufgabe, das herauszufinden."
Harry rollte in gespielter Verzweiflung die Augen. Der andere Harry lachte. Seit er Gefühle zeigte, war er Harry noch viel... vertrauter. Es war beinahe, als hätte er einen Zwillingsbruder. Nur dass dieser über fünfzig Jahre älter war als er und kaum noch menschlich aussah. Aber was bedeuteten denn schon solche Kleinigkeiten?
"Sag, Harry... kannst du nicht hier bleiben?"
Ein ernster Blick. "Nein, Harry. Ich bin vor über fünfzig Jahren gestorben und wartete in der Vorhölle darauf, dass der Tod mich endlich mitnimmt. Jetzt habe ich die einmalige Chance, vollkommen zu erlöschen. Keine bösen Erinnerungen, keine Schuld, keine Schmerzen... Es ist besser als jede Beschreibung des Himmels, die ich je gehört habe. - Hey, nicht traurig sein. Du musst für uns beide glücklich sein, schon vergessen?"
Harry sah ihn mit tränenschwerem Blick an. "Du hast Recht." Ein leises Lächeln zierte sein Gesicht. "Immerhin wartet auf mich irgendwo die große Liebe, nicht wahr?"
"Das ist die richtige Einstellung!"
Einige Minuten standen sie da und sahen sich wortlos an. Dann nickte der ältere Harry seiner personifizierten Vergangenheit und Zukunft ruhig zu. Harry erkannte, dass 'Rabe' den Schatten ein Schnippchen geschlagen hatte: sein ganzes Wesen hatte er ihnen überantwortet - doch er hatte dafür gesorgt, dass ein Teil von ihm in Harry weiterlebte. Sogar ein größerer Teil, als 'Rabe' selbst geplant hatte...
"Leb wohl." Die pulsierende Dunkelheit um den älteren Harry nahm stetig zu. Bald schienen sein Gesicht und Oberkörper von innen heraus in dunklem Licht zu strahlen.
"Leb wohl", sagte nun auch Harry. "Ich werde dich nicht vergessen."
Die Dunkelheit verschlang den Mann, der einst Harry Potter gewesen war. Dann schien der Nebel zu implodieren. Vor Harry schwebte eine kleine, schwarze Kugel in der Luft.
Harry streckte die Hand danach aus, als auf einmal vor ihm ein Bild erschien. Es war durchsichtig wie die Projektion über einem Pensieve, doch es fühlte sich sehr viel realer an.
Das Bild nahm die Gestalt des Raben an, wie er vor seiner Gefangenschaft gewesen war.
Harrys Gestalt.
Harry hatte das unheimliche Gefühl, vor einem Spiegel zu stehen. Doch er war sich sicher, dass auf seinen Zügen nie solch ein melancholischer und ...alter, beinahe Ehrfurcht gebietend weiser Ausdruck gelegen hatte.
Er wusste ja nicht, wie er in eben jenem Moment aussah.
Auf einmal war alle Traurigkeit aus dem Blick seines schimmernden Spiegelbildes verschwunden. "Danke für alles", erklang in seinem Kopf die Stimme seines anderen Ichs. "Danke fürs Zuhören... für dein Verständnis... und für deinen Willen zu leben. Ich verabschiede mich jetzt, doch ich bin sicher, du wirst deine Sache gut machen. Werde glücklich!"
"Das werde ich."
Das Bild löste sich auf und mit ihm verging auch die schwarze Kugel.
Harry blieb allein zurück. Er lehnte sich an die Brüstung des Turms und blickte noch lange hinaus in die Nacht.
- flashback Ende -
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