Von Engeln und Zauberern | By : dime Category: German > Harry Potter Views: 4160 -:- Recommendations : 0 -:- Currently Reading : 0 |
Disclaimer: I do not own the Harry Potter book and movie series, nor any of the characters from it. I do not make any money from the writing of this story. |
[edited 17.02.2015, neu formatiert]
11. Familie
From all of nature's sorcery
The most bewitched entity
Hell can have no fury like
The rising of the storm.
-Blackmore's Knight
Es war ein verregneter Abend. Sie war spät von der Arbeit nach Hause gekommen und wartete nun auf ihren Sohn, der versprochen hatte, auf dem Heimweg beim Inder etwas zum Abendessen zu holen. Um ihre Augen zu entspannen hatte sie nur die kleine Fernsehlampe eingeschaltet, sodass das Wohnzimmer in angenehmem Dämmerlicht lag.
Der Regen klatschte laut gegen die Scheiben. Petunia seufzte. Bestimmt hatte Dudley wieder keinen Schirm dabei. Wann würde er endlich lernen, dass der Besitz eines Schirms seiner Männlichkeit keinen Abbruch tat? Andererseits war er wirklich fast nie krank. Und das war ein Segen. Viele Jahre lang hätten sie es sich nicht leisten können, dass einer von ihnen krank wurde. Seit Vernon gestorben war...
Ein Blitz zuckte auf und erleuchtete das Wohnzimmer für einen Augenblick taghell. Die Konturen der Möbel zeichneten sich scharf und überdeutlich gegen den düsteren Raum ab. Kaum eine Sekunde später folgte ein ohrenbetäubendes Donnergrollen.
Fast wie in der Nacht, als der Junge diesen verwünschten Brief bekam.
Petunia erhob sich. Sie ging in die Küche und begann, Teewasser aufzusetzen. Wann hatte sie das letzte Mal an den Sohn ihrer Schwester gedacht? Es musste Jahre her sein. Natürlich hatte sie anfangs ihm die Schuld an Vernons Tod gegeben. Auch als diese... Zauberer gekommen waren und eine sehr andere Todesursache festgestellt hatten als die Polizei, welche etwas später eingetroffen war, wollte sie die Tatsache nicht akzeptieren, dass nicht Harry Potter, sondern Der-Dessen-Name-Nicht-Genannt-Wird ihren Mann ermordet hatte - und ihren Neffen vermutlich gleich mit.
Erst Jahre später war es ihr gelungen, sich rationaler mit den Ereignissen jenen Tages auseinander zu setzen. Sie hatte sich erinnert, aus welchem Grund man den Jungen damals ausgerechnet ihnen anvertraut hatte. Der Schutz der Liebe. Familienbande.
Selbst heute noch konnte sie ein bitteres Schnauben nicht unterdrücken. Es war doch lächerlich, dass der Fehler in dieser Logik nie irgendjemandem aufgefallen war. Sie hatten den Jungen gehasst. Da war es eigentlich kein Wunder, dass Der-Dessen-Name-Nicht-Genannt-Wird von den ach so zuverlässig schützenden Familienbanden nicht daran gehindert wurde, sein Ziel zu erreichen - und nebenbei auch noch Vernon aus dem Weg zu räumen.
Wie sie es auch drehte und wendete, letztlich kam sie an der bitteren Wahrheit nicht vorbei: wenn sie Harry auch nur ein bisschen Liebe gezeigt hätten, wäre dieser Schwarzmagier nicht in der Lage gewesen, das Haus zu betreten. Dann würden Vernon und Harry noch leben. Sie selbst war mit schuld am Tod ihres Mannes und am Ende der Hoffnung der Zaubererwelt.
Sie wusste, dass Der-Dessen-Name-Nicht-Genannt-Wird noch immer unbesiegt war. Natürlich bekam sie keine Nachrichten aus ...jener Welt, aber es war auch aus den normalen Nachrichten leicht zu hören, wenn man wusste, worauf man zu achten hatte. In den letzten Jahren häuften sich unerklärliche Todesfälle, Gasexplosionen und seltsame Naturereignisse wie lokale Erdbeben und Überschwemmungen, die sich auf einzelne Gebäude beschränkten. Es war klar, dass dies das Werk eines Schwarzmagiers sein musste.
Wieder zuckte ein Blitz. Petunia fuhr zusammen, als der Donner über ihren Kopf hinwegrollte. Solch ein Unwetter hatte sie schon seit Jahren nicht mehr erlebt. Hoffentlich kam Dudley gut nach Hause.
Es läutete an der Türe. Petunia lief schnellen Schrittes durch die Diele, runzelte jedoch die Stirn: Dudley hatte seinen eigenen Schlüssel, wieso benutzte er ihn heute nicht?
Als sie die Türe öffnete, stand nicht Dudley vor ihr, sondern ein schlanker Mann in den Dreißigern, dessen kurze blonde Haare in nassen Strähnen in seine Augen hingen. Er versuchte, einen kleinen bunten Schirm mit einer Hand zu schließen, da sich die andere noch immer fest in seinem Kragen verkrallte, den sie offensichtlich auf dem Weg zusammengehalten hatte.
Ein weiterer Blitz zuckte auf. In seinem Licht sah sie die Augen des Mannes blau aufblitzen.
Inmitten eines ohrenbetäubenden Donnerschlags erloschen alle Lichter in der Straße. Petunia wich im Dunklen angsterfüllt vor dem Fremden zurück. Er hatte seltsam vertraute Augen. Er machte ihr Angst.
"Miss Dursley...?", fragte der Mann mit leiser Stimme. Er strich sich einen Strang nasser, blonder Haare aus der Stirn. Darunter kam blasse Haut zum Vorschein, von der sich im Regen eine schmierige Schicht löste. War das etwa Make-up??? Darunter zeigte sich nach und nach...
"Ich bin nicht zu Hause!", rief sie in einem Anflug von Panik und wollte dem Fremden die Türe vor der Nase zuschlagen. Doch sie war zu langsam. Er hatte bereits einen Fuß über die Schwelle gesetzt. Die Türe schloss sich zur Hälfte und traf dann auf den Schuh des Fremden.
Im Licht der immer hektischer zuckenden Blitze sah Petunia, wie der Mann sie ernst anblickte. Nicht bedrohlich, aber ernst. Und traurig. Es lag etwas in diesem Blick, das sie nachdenklich machte. Es berührte sie. Langsam verminderte sich der Druck ihrer Hand auf die Türklinke, die sie krampfhaft umfasst hatte.
Der Mann sagte etwas, doch das Meiste ging in erneutem Donnergrollen unter. "...besprechen. Darf ich herein kommen?", fragte der Mann, der die Augen ihrer Schwester und den Ansatz einer blassen Narbe auf der Stirn hatte.
Die ganze Szene war so unwirklich, so geisterhaft, dass Petunia das Gefühl hatte, hier ginge nichts mehr mit rechten Dingen zu. Blitze zuckten, Donner grollte und vor ihr stand ein Phantom. Wenn irgendeine Macht jemals entscheiden sollte, den Sohn ihrer Schwester zurück zu bringen, dann würde sie diese Nacht dafür wählen. Wer war sie selbst, dass sie sich solchen Mächten in den Weg stellen würde? Wortlos drehte sie sich um und ging ins Wohnzimmer; die Haustüre ließ sie offen.
Während Petunia hinterm Kamin nach Kerzen suchte, hörte sie, wie der Mann mit langsamen, zögerlichen Schritten das Haus betrat und die Türe schloss. Gleich wurde es im Haus etwas leiser.
"Ich hoffe, ich störe nicht allzusehr", sprach der Mann sie jetzt an. Petunia hätte laut aufgelacht, wäre sie nicht viel zu verängstigt dazu gewesen. So schluckte sie nur trocken und sagte nichts.
"Miss Dursley?", fragte der Mann jetzt, scheinbar beunruhigt. Petunia drehte sich zu ihm um und registrierte, wie er erstaunt die Luft einzog, als er ihre geweiteten Augen und ihr bleiches Gesicht wahrnahm. "Miss Dursley, stimmt etwas nicht?"
Endlich fand Petunia ihre Stimme. "Was tust du hier? Du bist tot..."
Der Mann sah sie einen Moment lang verwirrt an, dann schien ihn die Erleuchtung zu treffen und er fragte leise: "Was hat mich verraten?"
In diesem Augenblick sah er sehr menschlich und irgendwie verunsichert aus, sodass Petunia ihren Mut zusammennahm und auf ihn zu ging. Er beobachtete sie still und ließ es zu, dass sie die Hand nach ihm ausstreckte und den Finger auf seine Stirn legte.
"Der Regen", antwortete sie nun auf seine Frage und hielt ihm den Finger vor Augen. Er war mit einer nassen Schicht zerronenen Make-Ups bedeckt.
"Oh..."
Petunia entfernte sich wieder einige Schritte und ließ sich in einen der Sessel sinken, da sie fürchtete, ihre Beine könnten unter ihr nachgeben.
"Was bist du? Du kannst kein Geist sein, Lily hat mir erzählt, dass man durch die hindurchgehen kann. Aber du fühlst dich sehr real an."
Ihre Stimme zitterte nur noch ganz leicht. Ihre angeborene Neugier nahm Überhand. Sie witterte einen Skandal. Und selbst wenn er diesmal ihre eigene Familientragödie betreffen mochte, konnte sie doch nicht umhin, der Sache auf den Grund zu gehen. Dabei fühlte sie sich jedoch wie eine Motte, die zum Licht fliegen musste, obgleich es ihr Verderben bedeutete.
"Du hast seine Narbe... und Lilys Augen... aber sie sind nicht grün... und du bist blond..."
Der Mann schloss kurz die Augen. Dann fuhr er sich mit der Hand durch die nassen Haare, räusperte sich, schaute sich im Zimmer um. Fast hatte sie den Eindruck, er wolle Zeit schinden. Er zog seinen Mantel aus, ließ sich auf dem Sofa nieder und zupfte seinen Pullover zurecht.
Schließlich aber gab er sich einen Ruck, fing ihren Blick ein und begann zu sprechen. "Als Erstes möchte ich dir sagen, dass dir von mir keine Gefahr droht. Ich bin nicht hier, um dir zu schaden."
Das überraschte Petunia nun doch. Weshalb sonst sollte Harry Potters Geist - oder gar der echte Harry Potter - sie heimsuchen? Oder sonst irgend jemand, der in irgendeiner Beziehung zu ihrem Neffen stand?
"Die Haare habe ich mir gefärbt. Ich trage dunkelblaue Kontaktlinsen. Meine Freunde kennen mich als Tom Effing. Ich war fünfzehn Jahre lang auf der Flucht vor mir selbst. Doch die jüngsten Ereignisse haben es mir unmöglich gemacht, mich weiter vor meiner Vergangenheit zu verstecken - vor meiner Verantwortung, meinen Taten, meiner Angst. Tante Petunia, ich bin Harry. Harry Potter."
Petunia saß wie erstarrt. War das wirklich Harry? Was meinte er mit Schuld? Wieso lebte er noch? Hatte nicht damals der Dunkle Lord ihn und Vernon ermordet? ...Wenn der Dunkle Lord ihn nicht umgebracht hatte, sondern nur Vernon, hieß das, dass er mit dem Schwarzmagier verbündet war? Dem Mörder seiner Eltern? Oder war der Dunkle Lord an jenem Tag gar nicht in ihrem Haus gewesen?
Der blonde Mann mit der Narbe auf der Stirn sah sie aus traurigen, ernsten Augen an. Er beobachtete ihr Minenspiel und konnte genau den Moment bestimmen, als plötzliche Erkenntnis sie traf.
"Du hast Vernon ermordet."
Stumm blickte der andere sie an.
Sag, dass das nicht wahr ist!, schrie sie ihn in Gedanken an. Doch sie konnte nur reglos zusehen, wie der traurige blonde Mann langsam den Kopf senkte. Ja.
Petunia verbarg das Gesicht in den Händen. War das also die Strafe dafür, dass sie den Sohn ihrer Schwester nicht wie ihren eigenen behandelt hatte? Sie war sich inzwischen bewusst, dass man ihr Verhalten und das ihres Mannes durchaus als Kindesmisshandlung einstufen musste. War das nun Gottes gerechte Strafe? Hatte Harry seinen eigenen Onkel umgebracht, um sich für die Jahre der Ausnutzung und Missachtung zu rächen?
Es war ihr leichter gefallen, zu glauben, dass ein unbekannter böser Zauberer ihren Mann ermordet hatte, als er die Welt von dieser Abnormität, die ihre Schwester ihr hinterlassen hatte, gesäubert hatte. Sie hatte dem Jungen die Schuld geben können, oder dem Dunklen Lord, oder dem Schicksal, das es so böse mit ihnen meinte und ihren unbeteiligten, unschuldigen Gatten in einem Krieg als Kollateralschaden verzeichnete, der ihn eigentlich nichts anging.
Doch nun musste sie erkennen, dass ihr eigener Neffe, den sie aufgezogen hatte, an ihrem Unglück schuld war. Und wo sie früher nur allzu gerne ihn für alle Probleme der Welt verantwortlich gemacht hatte, war sie heute bereit, den Fehler bei sich selbst zu suchen.
Und zu finden. Wenn sie den Jungen besser behandelt hätten, wäre Vernon noch am Leben.
Eines nur war ihr unverständlich. Warum erst mit sechzehn? Und warum nur Vernon, und nicht auch sie und Dudley? Einen Moment lang stieg Panik in ihr auf. War er heute zurückgekehrt, um dieses Versäumnis zu korrigieren? Hoffentlich kam Dudley nicht gleich nach Hause! Konnte sie vielleicht noch flüchten? Wie?
Gehetzt schaute sie sich im Zimmer um. Als ihr Blick erneut ihren Besucher streifte, fühlte sie, wie er sie aufmerksam beobachtete. Sein Gesicht war ruhig. Es schien keine Bedrohung von ihm auszugehen, nur eine tiefe, warme... Traurigkeit?
Langsam beruhigte sich Petunia. Harrys anfängliche Worte kamen ihr wieder in den Sinn. Ich bin nicht hier, um dir zu schaden.
Aber weshalb dann? Was wollte er hier, an dem Ort, wo er sechzehn Jahre seines Lebens in einem Zustand, welcher der Sklaverei nur wenig voraus hatte, verbracht und den er schließlich vor über einem Dutzend Jahren inmitten einer Gräueltat verlassen hatte? Was konnte er jetzt hier wollen?
"Warum bist du hier?"
Wieder eine Pause, als fiele es ihm schwer, die Frage zu beantworten. Dann...
"Ich hätte schon vor vielen Jahren kommen sollen. Meine Therapeutin erklärt mir immer wieder, dass man mit seiner Vergangenheit nur abschließen kann, wenn man sich ihr gestellt hat."
Seine Therapeutin?!
"Ich weiß es ja selbst - nicht nur, dass ich Psychologie studiert habe, auch meine immer wiederkehrenden Alpträume sagten mir deutlich genug, dass ich meine Vergangenheit noch längst nicht besiegt habe, egal, wie ruhig ich nach außen hin wirken mochte. Ich bin feige vor ihr davon gelaufen. Ich habe alle Brücken abgebrochen, aus Scham, aus Angst. Ich wollte vor der Verantwortung flüchten, die alle Welt mir auferlegt hatte. Und auch die Verantwortung für das, was ich getan hatte, konnte ich nicht übernehmen.
"Warum ich gerade jetzt beschlossen habe, meiner Vergangenheit ins Auge zu sehen?
"Ich hätte immer so weiter gelebt, diese Lüge gelebt, die ich mir selbst geschaffen hatte. Doch die Zaubererwelt hat mich wachgerüttelt.
"Meine Verantwortung ist mit den Jahren nicht kleiner geworden. Voldemort" - Petunia zuckte zusammen - "lebt, mordet, zerstört alles. Und noch immer gilt die Prophezeiung, dass nur ich ihn vernichten kann. All seine Morde der letzten Jahre lasten auf meinem Gewissen. Es ist beinahe, als hätte ich sie selbst begangen. Nur weil ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt war, hat niemand ihm Einhalt geboten.
"Vor ein paar Wochen wurde mir das alles durch einige unglückliche - oder vielleicht auch glückliche, das hängt ganz davon ab, wie man es betrachtet - Ereignisse bewusst. Ich beschloss, mich der Vergangenheit zu stellen und, wenn es nicht anders geht, wieder Harry Potter zu werden.
"Ich will aufhören, mich zu verstecken. Dazu gehört auch, dass ich mir den Schaden ansehe, den ich verursacht habe. Es hat mich viel Überwindung gekostet, heute deine Klingel zu läuten. Ich stand bestimmt zehn Minuten im Regen und habe sie angestarrt. Mit diesem Haus verbinde ich so viele schlechte Erfahrungen, soviel Angst, soviel Leid...
"Doch noch schlimmer ist das erdrückende Gefühl der Schuld. Ich habe dir den Ehemann genommen. Und Dudley den Vater. Ich sehe, dass sich am Haus seit damals nicht viel verändert hat. Aber wie ist es mit euch? Wie geht es dir, Tante?"
Petunia sah Harry verstört an. Meinte er das ernst? Der Mörder ihres Gatten fragte sie besorgt, ob es ihr gut ging?
Das Seltsamste war, dass sie nicht wusste, was sie antworten sollte. Direkt nach Vernons Tod waren für sie und Dudley harte Zeiten angebrochen. Dudley hatte lernen müssen, dass er nicht alles haben konnte, was er wollte. Mit sechzehn erst diese Lektion zu lernen, war für sie beide zu einer harten Prüfung geworden.
Doch das Geld war knapp und Petunia musste im Supermarkt an der Kasse arbeiten, um sie beide zu ernähren. Wenn sie dann abends nach Hause gekommen war, um Dudley vor der Glotze zu finden, wo er sich gemütlich vor seinen Hausaufgaben drückte, war ihr immer öfter der Kragen geplatzt. Bis sie ihm schließlich ein Ultimatum gestellt hatte.
Bessere Noten. Hilfe im Haushalt. Und kein Gequengel. Oder Ausziehen und Leben auf eigene Kosten - ohne Schulabschluss.
Er hatte sie nicht ernst genommen. Bis sie eines Tages das Schloss an der Haustüre ausgewechselt hatte.
Eine Woche später hatte er ihren Bedingungen zugestimmt.
Heute war das Zusammenleben erträglich. Um ehrlich zu sein, sogar mehr als das. Dudley hatte sich im Lauf der Jahre zu einem höflichen und rücksichtsvollen Wesen entwickelt, mit dem es sich geradezu angenehm lebte.
Vielleicht hatte es damit zu tun, dass sie ihn zusammengestaucht hatte wie noch nie, als er mit achtzehn ganz knapp an einer Anklage wegen sexueller Belästigung vorbeigeschlittert war. Wenn sie außer Zauberei eines nicht tolerierte, dann so etwas.
Vor lauter Aufregung hatte sie anscheinend einen Herzinfakt bekommen. Sie erinnerte sich nicht genau an den Streit, aber dafür umso besser an das Aufwachen im Krankenhaus. Dudley war mit nassen roten Augen neben ihr gesessen und hatte vor Freude geschluchzt, als sie erwachte.
"Mama! Ich dachte, ich hätte dich verloren! Lass mich bitte bitte nicht allein."
Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Dudley Dursley unaufgefordert 'Bitte' gesagt.
Seitdem war ihr Dudley für seine Verhältnisse ungewöhnlich nachdenklich geworden. Er hatte begonnen, die Welt mit anderen Augen wahrzunehmen, auf die Bedürfnisse und Wünsche seiner Mutter zu achten und sie zu unterstützen.
Nein, sie konnte nicht sagen, dass sie unglücklich war. Auch wenn Vernon ihr anfangs gefehlt hatte, so war sie darüber erstaunlich schnell hinweg gekommen. So schnell, dass sie sich schon bald gefragt hatte, ob sie ihn denn überhaupt noch geliebt hatte.
Die Antwort war schnell und ernüchternd gekommen: schon lange nicht mehr. Schon vor seinem Tod hatten sie nur noch nebeneinander her gelebt. Sie machte den Haushalt, er machte seine Arbeit; man aß zusammen, man lästerte gemeinsam über die Nachbarn; man ging ins Bett, machte das Licht aus und schlief ein.
Begehrt hatte Vernon sie auch nicht mehr. Bereits seit mehreren Monaten war sie nachts immer wieder wach gelegen und hatte sich gefragt, ob ihr Mann schneller als sie gealtert war oder ob er eine hübsche junge Sekretärin hatte. Die Antwort würde sie wohl nie erfahren. Und vielleicht war das auch ganz gut so.
Sie lebte jetzt mit ihrem Sohn zusammen ein ruhiges Leben. Langweilig war es nicht, denn immer wenn er an einem Turnier oder Wettkampf teilnahm, wusste sie nicht, in welcher Verfassung er nach Hause kommen würde. Manchmal hatte sie Angst um ihn.
Und dennoch war es ein friedliches Leben. Es gab nur noch selten Streit im Haus. Durch die Arbeit im Supermarkt war sie selbst ausgelastet und hatte das Gefühl, zu etwas nutze zu sein. Mit Vernon hatte sie sich immer nur als das Frauchen am Herd gefühlt, das nur dazu lebt, um dem Mann zu dienen. Vernon war dagegen gewesen, dass sie arbeitete. Das hätte doch ausgesehen, als verdiene er nicht genug; außerdem bestand er auf sein langwierig zubereitetes, raffiniertes Abendessen. Also, Frau an den Herd und fertig.
Ein leiser Stich in ihrer Brust meldete Schuldgefühle, als sie sich eingestand, dass jetzt manches besser war als früher.
"Mir geht es gut."
Harry war überrascht. Tante Petunia schien zu meinen, was sie sagte. Sie machte ihm keine Vorwürfe. Er sah in ihren Augen weder Trauer noch Zorn, nur eine verhaltene Emotion, die seltsam nach Verlegenheit oder gar Schuldgefühlen aussah.
Neugierig musterte er seine Tante jetzt genauer. Sie sah tatsächlich sehr gut aus. Ihr dürrer Hals war ein wenig voller geworden, ihre Wangen waren leicht gerötet - lag das daran, dass sie sich unter seinem forschenden Blick unwohl fühlte? -, ihre Kleidung war weniger elegant, sah dafür aber viel komfortabler aus als ihre alten Kostüme und Röcke. Sie wirkte müde, aber rundum gesund. Und irgendwie friedlicher als früher.
Harry zog erstaunt eine Augenbraue hoch, als er bemerkte, woher dieser Eindruck kam: Die Falte in ihrem Mundwinkel, die ihr immer ein sauertöpfisches, ständig unzufriedenes Gesicht verliehen hatte, war verschwunden. Seine Tante wirkte entspannt und ausgeglichen wie noch nie.
Trotzdem wollte er sich vergewissern.
"Ich weiß, das wirkt jetzt sehr indiskret, aber habt ihr genug Geld? Ich habe eine Praxis, die sehr gut läuft, und würde euch gerne mit einer monatlichen Rente unterstützen, damit -"
"Papperlapap!", unterbrach ihn seine Tante. "Ich weiß nicht, was dich auf den Gedanken bringt, uns helfen zu wollen, aber ich versichere dir, es ist vollkommen unnötig."
"Uuumh... wenn du das Geld von mir nicht annehmen willst, verstehe ich das natürlich", gab Harry kleinlaut von sich.
"Das ist es nicht", meinte Petunia kurz. "Dudley boxt jetzt auf Landesebene, er bringt genug Geld nach Hause, dass ich hundert Jahre alt werden und immer noch davon leben könnte. Und ich habe mich an die Arbeit im Supermarkt gewöhnt und verdiene dort auch nicht schlecht. Ich nehme keine Unterstützung an, weil wir tatsächlich keine brauchen."
Harry lächelte gequält. "Dudley prügelt sich also jetzt professionell?"
Seine Tante runzelte die Stirn. "So würde ich das nicht sagen. Weißt du, er hat sich sehr verändert. Er muss kämpfen, schließlich würde er mit seinem schlechten Schulabschluss sonst keine Arbeit finden. Und er boxt gut. Aber es macht ihm schon lange keinen Spaß mehr."
Die Falte auf ihrer Stirn wurde tiefer, als Harry ein ungläubiges Schnauben ausstieß.
"Früher war er ein verzogenes, egozentrisches, kleines Walross, das ist mir auch klar", fuhr Petunia verärgert fort und ignorierte, wie Harry erschrocken nach Luft schnappte, "aber du kannst mir ruhig glauben, dass er sich verändert hat. Seit ich damals den Herzinfakt hatte..."
Harry schluckte. Angesichts der plötzlichen Einsicht seiner Tante war er geneigt, ihr zu glauben, dass auch Dudley tatsächlich nicht mehr der egoistische Tyrann war, an den er sich erinnerte.
"Du hattest einen Herzinfakt?", fragte er besorgt.
Petunia lächelte - seine Tante lächelte! -, als sie die Sorge in seiner Stimme hörte, und sah ihren Neffen vielleicht zum ersten Mal in ihrer beider Leben mit einem warmen, freundlichen Blick an. "Es war nur ein einziges Mal und es hat keine bleibenden Schäden hinterlassen. Aber deine Sorge rührt mich." Sie schloss die Augen und lehnte sich entspannt in ihrem Sessel zurück.
Harry senkte verlegen den Blick. Was sollte er dazu sagen?
"Ich schätze, es war nur der Schock, als ich von Dudley erfuhr, dass eine Mitschülerin ihn angezeigt hatte. Ich war so sauer. Er war gerade achtzehn geworden und sollte nun ins Gefängnis? Und noch dazu aus demselben Grund wie Vernon damals! Als der seine Bürohilfe überzeugt hatte, die Anklage fallen zu lassen, war seine Ehre zwar gerettet, unsere Ehe aber nicht. Und jetzt benahm sich Dudley schon genauso? Das konnte er mir doch nicht antun!"
Harry antwortete nichts darauf. Petunia hob den Blick und sah, dass er plötzlich ziemlich verkrampft auf der Sofakante hockte.
"Weshalb... wollte sie ihn denn anzeigen?", fragte er jetzt mit gezwungen ruhiger Stimme.
Petunia horchte auf. So gleichgültig er es auch klingen lassen wollte, sie spürte, dass die Antwort für Harry von großer Bedeutung wäre.
Mit ruhiger Stimme, aus der man aber ihre Abscheu genau heraushörte, erklärte sie: "Sexuelle Belästigung."
Ihr Neffe war unter ihren Worten zusammengezuckt. Dann hatte er den Kopf geschüttelt, als wolle er einen unangenehmen Gedanken vertreiben, hatte etwas gemurmelt, das sehr nach "Wie der Vater, so der Sohn... ugh, ich muss hier raus..." klang, war aufgestanden und hatte verwirrt nach seinem Mantel gesucht.
Petunia beobachtete ihn verständnislos, während in ihrem Kopf die feinen Rädchen in Bewegung kamen. Sie ratterten und ratterten, bis endlich...
"Harry, warum hast du ihn umgebracht?"
Das riss den jungen Mann augenblicklich aus seiner Verwirrung. Er taxierte seine Tante mit einem scharfen Blick und antwortete dann: "Ich denke, das sollten wir vielleicht ein andermal besprechen. Ich habe schon viel zu viel von deiner Zeit in Anspruch genommen. Dein Sohn kommt sicher bald nach Hause, da möchte ich nicht stören. Ich verabschiede mich jetzt besser."
"Harry, du hast meinen Mann umgebracht. Ich habe ein Recht zu erfahren, warum ihn - und warum nicht mich."
Ihr Neffe sah sie erstaunt an. "Dich? Wieso sollte ich? Du hast mir nichts getan..."
"Nichts? Ich habe dich beschimpft, ausgenutzt, geschlagen, verachtet... Was hat Vernon dir angetan, dessen ich mich nicht genauso schuldig gemacht habe?"
Mutiger als sie sich fühlte reckte sie das Kinn vor und sah ihn herausfordernd an. Sie glaubte, die Antwort zu kennen; Harrys Reaktionen hatten ihn verraten. Doch sie hoffte entgegen jeder Vernunft, dass sie sich täuschte.
"Das... Nichts." Harry wich ihr aus. Er beantwortete ihre Frage nicht, schaute auf seine Schuhspitzen und zog seinen Mantel eng um seine Brust. Dann wich er zurück und griff nach der Türklinke. Als er sie gerade einen Spalt breit geöffnet hatte, legte Petunia ihm sanft die Hand auf den Arm.
"Bitte sag es mir, Harry."
Jetzt hob er den Blick doch. Petunias Brust zog sich schmerzhaft zusammen, als sie seine roten Augen sah.
"Das willst du nicht wissen, glaub mir." Seine Stimme war fest, trotz der Tränen, die in seinen Augen brannten.
"Doch, Harry, das will ich. Bitte sag es mir. Ich möchte die Wahrheit hören - für dich genauso wie für mich selbst. Du hast gesagt, man soll keine Lüge leben. Dann sag mir jetzt die Wahrheit, denn ich will sie hören."
Petunia sah ihn ruhig und mit festem Blick an. Sie beobachtete, wie er schluckte, dann seinen ganzen Mut zusammennahm und sich sammelte, um die schreckliche Wahrheit preis zu geben.
"Ich wollte ihn nicht umbringen. Meine wilde Magie ist mit mir durchgegangen, da ich Panik bekommen hatte." Er stockte.
"Warum hattest du Panik bekommen?"
"Vernon hat mich vergewaltigt. Und er wollte es ein zweites Mal tun."
"WAS?!"
Petunias und Harrys Köpfe flogen herum. Verdeckt durch das Prasseln des Regens hatten sie die Schritte nicht gehört, die sich den Weg entlang durch den Garten genährt hatten. Draußen vor der halb geöffneten Türe stand vor dem flackernden Licht in der Ferne zuckender Blitze ein leicht untersetzter, sehr muskulöser Mann mit einer Narbe auf der Wange und einem Bluterguss am Kinn, nassen, kurzen blonden Haaren, in einer Hand einen Schlüsselbund, in der anderen zwei Alluminiumschalen mit indischem Take Away.
Dudley Dursley.
Harry war überfordert. Mit seinem Cousin wurde er jetzt nicht fertig. Nicht nach allem, was er heute über ihn erfahren hatte.
"Ich... das ... also... " Hektisch blickte er sich um. Vor ihm stand seine Tante, hinter ihm sein Cousin. Um zu verschwinden, müsste er einen von beiden umrennen. "Ich kann nicht... ich muss..."
Ich will hier weg!
Fasziniert starrten Petunia und Dudley auf ihre Türschwelle, von der soeben ein gewisser Harry Potter mit einem leisen 'Plopp' verschwunden war.
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