Angel Hiss | By : singvogel Category: German > General Views: 935 -:- Recommendations : 0 -:- Currently Reading : 0 |
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Angel Hiss
Der Dämon läuft durch den
herbstlichen Wald. Es regnet und der schwach modrige Geruch der feuchten
Blätter lässt eine angenehm morbide Stimmung aufkommen. Er hat entschieden
heute die Nacht in der Ruine der halbvergessenen Bahnstation zu verbringen,
deren Lage dieser Tage kaum noch jemand kennt. Seine Schuhe sind verklebt mit
Schlamm und die glatten schwarzen Haare kleben ihm schon seit einiger Zeit
durchnässt am Kopf, doch dass kümmert ihn kaum, vervollständigt dieser Umstand
doch auf geradezu perfekte Weise das Bild eines mitleiderregend unschuldig und
leicht verloren wirkenden Jugendlichen, als der er sich im Moment so gerne
ausgibt.
Es ist zwar niemand da der ihn
sehen könnte, aber er war schon immer recht theatralisch veranlagt. Selbst wenn
es nur seiner eigenen Unterhaltung dient. Die Kälte die der Regen mit sich
bringt kann ihm aufgrund seines feurigen Erbes kaum etwas anhaben, weshalb er
auch den eisigen Winter den flirrend heißen Tagen des Sommers vorzieht. Dann
herrscht weniger Betrieb in seinen bevorzugten Schlupfwinkeln, wie etwa diesem
hier.
Doch heute scheint es als wäre
er trotz des unangenehmen Wetters nicht allein. Er kann die tiefschwarze
Verzweiflung eines Anderen fühlen, sie zieht ihn an wie eine Motte das Licht,
unaufhaltsam, unwiderstehlich, obwohl er noch niemanden sehen kann ist er
sicher dass jemand da drin ist, verborgen in den Tiefen des brüchigen, mit
Graffiti bedeckten Gebäudes.
Vorsichtig duckt er sich unter
dem rostigen Bauzaun hindurch, darauf bedacht seine abgetragene schwarze Jacke
nicht mit noch mehr Löchern zu verzieren als nötig ist um seine gewählte Rolle
zu spielen. Die stärke der Emotion ist beeindruckend, wer immer dort drinnen
ist muss großen seelischen Schmerz leiden. Bei diesem Gedanken durchfährt ihn
ein begieriger Schauer, gleich wird er es wissen. Ohne es zu merken leckt er
sich schon die schmalen Lippen in Erwartung des kommenden.
Behutsame, geräuschlose Schritte
über rissigen Boden, der großzügig mit Müll bedeckt ist,
immer weiter ins Innere des dunklen Gebäudes, bis ein Mensch kaum noch etwas
erkennen könnte. Er kann jedoch sehr gut sehen. Die Dunkelheit war immer schon
sein ureigenes Element. Leise geht er weiter. Nur noch eine Ecke, dann muss es
so weit sein.
Was er erblickt lässt ihm für
einen Moment den Atem stocken. Wie eine deplatzierte Schneeflocke hockt der
Engel dort in einer großen, noch glänzenden Pfütze aus Blut, den Kopf eines
toten Mädchens auf dem Schoß und scheint völlig in seinen Schmerz versunken.
Sie hat sich offenbar die Pulsadern aufgeschnitten und ist langsam verblutet.
Mit einem ironischen Lächeln bemerkt der Dämon, dass der Engel trotz allem
unberührt scheint vom Blut, als könnte ihn nichts beschmutzen. Doch aus
Erzählungen weiß er dass dem nicht so ist, auch wenn die Engel es gerne so
darstellen.
Er hat noch nie eines dieser
Geschöpfe aus der Nähe gesehen und tritt neugierig näher, immer noch darauf
bedacht sich leise zu bewegen, aber ohne den Aufwand zu machen sich dabei zu
verbergen. Dieses verzweifelte Wesen sieht nicht so aus als könnte es ihm
gefährlich werden. Kleine Wassertropfen bahnen sich ihren Weg über seine Wange
und tropfen aus dem nassen Haar in seinen Kragen, doch sie bleiben unbemerkt,
denn sein Blick ist gefesselt von der Gestalt vor ihm. Der andere scheint ihn
jedoch gar nicht zu bemerken, denn er starrt nur weiter blicklos vor sich hin,
immer noch gefangen in seinen eigenen Gefühlen, während blasse Finger
mechanisch durch die strähnigen Haare der Toten fahren, als wollten sie Trost
spenden.
Am Rand der Blutpfütze bleibt
der Dämon stehen und nimmt sich Zeit sein Gegenüber in Ruhe zu mustern. Die
unschuldige Schönheit die der Engel ausstrahlt schmerzt ihm fast in den Augen,
obwohl er selbst nicht weniger schön ist wenn ihm der Sinn danach steht, hat die
seine eine völlig entgegengesetzte Qualität.
Weißes Gewand, wie unpraktisch.
Weiße Schwingen, ob er sie verbergen kann wenn er möchte? Langes hellblondes
Haar das ein ovales, puppenhaftes Gesicht, mit himmelblauen Augen und
klischeehafter Stupsnase umrahmt. Er fragt sich wie sich dieses Haar anfühlen
mag. Wie das eines Menschen? Duftet es?
Er tritt über den Rand der
Pfütze, getrieben von seiner Neugierde. Einen Schritt, noch einen, bis er so
nah ist dass er ihn berühren könnte, da schaut der Engel plötzlich auf und
Schuldgeplagte blaue Augen treffen die seinen. Ein überraschtes Zischen
entweicht dem kindlichen Schmollmund, gefolgt von einem einzelnen Wort.
„Dämon!“
Es bringt ihn beinahe zum
Lachen. Überraschung, Schuld, Abneigung, Angst alles dies kann er in den Augen
des Anderen lesen und doch, trotz allem bringt er eine vernichtende Anklage
über die Lippen, komprimiert in einem einzigen Wort. Solche Selbstgerechtigkeit
findet er äußerst belustigend und beschließt ein wenig in den offensichtlichen Schuldgefühlen
des Blonden herum zu bohren um zu zusehen wie er sich windet.
„Engel“, antwortet er mit
deutlicher Belustigung, scheinbar völlig unbeeindruckt von dem implizierten
Vorwurf. „Sieh an du hast versagt.“
Mit einem Grinsen lässt er sich
neben dem toten Körper auf die Knie sinken, so dass er nun dem Engel frontal
gegenüber hockt, während sich seine Hose mit dem Blut voll saugt, aber das
kümmert ihn nicht sonderlich im Moment. Zufrieden beobachtet er den Schmerz der
auf seine Äußerung hin über das blasse Gesicht zuckt.
„Ich werde Buße tun.“
Der Engel schaut beschämt zur
Seite. Mehr scheint ihm nicht einzufallen zu seiner Verteidigung. Er ist noch
jung und unerfahren, so viel wird offensichtlich durch seine Worte, die den
Dämon nun doch in Gelächter ausbrechen lassen.
„So, wirst du das.“
Kindliche Lippen,
aufeinandergepresst in wütender Scham und ein stummes, trotziges Nicken.
„Und wen wird das kümmern?
Niemand hat etwas davon wenn du leidest kleine Schneeflocke.“
„Aber ich muss doch etwas tun! Sonst
ist sie verloren!“
Plötzlich scheint er nur noch
hilflos in seiner verzweifelten Unwissenheit. Es ist lange her dass der Dämon
dass letzte Mal eine solch verlockende Unschuld und Opferbereitschaft zu
Gesicht bekommen hat und der Anblick des Engels, verzagt
und ratlos stellt eine Versuchung dar der er einfach nicht widerstehen kann.
Langsam, jeden Augenblick genießend beugt er sich vor, bis seine Lippen die des
Engels berühren. Ein flüchtiger Kontakt, fast gar nicht vorhanden, wie das
Streicheln einer warmen Windböe im Sommer und doch erschüttert dies den Engel
bis in sein Innerstes. Er weicht hastig zurück und gibt wieder dieses Zischen
von sich, diesmal gemischt mit mehr als nur Überraschung, die blauen Augen
schockiert geweitet.
„Was tust du?“ Will er alarmiert
wissen und der Dämon grinst wieder.
„Ich lasse dich büßen, so wie du
es wolltest.“
„Das ist keine Buße!“
Das Grinsen verbreitert sich.
„Doch natürlich“, schnurrt der
Dämon hinterlistig. „Solange du dabei leidest ist es Buße.“
Dass er lügt muss der Engel
nicht unbedingt wissen. Er ist selbst schuld wenn er nicht über die Regeln
bescheid weiß.
„Du…“
Der Engel hebt nun abwehrend
eine Hand zuckt jedoch erschrocken zusammen als er das Blut bemerkt das daran
klebt. Kann es dafür überhaupt eine Absolution geben? Sich an das scheinheilige
Versprechen des Schwarzhaarigen zu klammern ist verlockend in diesem
Augenblick.
„Nein…“
Eine einzelne Träne rinnt über
die glatte Wange. Der Dämon ergreift überraschend sanft die blutigen Finger und
beginnt sie genüsslich abzulecken bis der Andere anfängt leise zu wimmern. Dann
lächelt er und zieht ihn langsam zu sich heran.
„Doch.“
Mehr Tränen, salzige Küsse doch
keine Gegenwehr, stattdessen hilfloses Keuchen. Scheinbar ist der Engel
wirklich entschlossen zu büßen. Der Dämon lässt sich nicht lange bitten, ist es
doch seine Aufgabe Strafe auszuteilen wo sie gebührt, auch wenn es heute auf
andere Art geschieht als sein heller Gegenpart vielleicht erwartet hat. Und
nachdem er schon Leiden und Schmerzen versprochen hat muss er sich nicht einmal
zurückhalten.
Als der Morgen graut erwacht der Engel auf dem harten
Steinboden, neben der blicklos ins Leere starrenden Leiche und immer noch
umgeben von Blut, das inzwischen zum größten Teil getrocknet ist. Der Dämon ist
bereits fort und hat ihn dort zurückgelassen, allein mit seiner verlorenen
Unschuld.
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